Weinviertler Poet: Otto Potsch

»Der Künstler Otto Potsch ist ein Poet, der selbst Steinen und rostigem Alteisen eine Seele einhaucht.«

Der Versuch einer Liebeserklärung von Jimmy Schlager

 

Als die Idee entstand, eine Reportage über ihn zu machen, war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob das so eine gute Idee ist. Unsere Bekanntschaft ist von feiner gegenseitiger Wertschätzung geprägt, die ich mit meinem reißerischen Geschreibsel nicht aufs Spiel setzen wollte. Immerhin durfte ich in seinem Haus einen Holzbalken mit meiner Unterschrift verzieren – er wollte das so – und es wäre schade, wenn er die wieder wegschleifen müsste … Als nach einem kurzen Telefonat aber der Interviewtermin vereinbart war („Ja, ja, kummst hoid vorbei! I gfrei mi!“), gab es kein Zurück mehr.

Es wurde ein Vormittagstermin (am Abend ist er schon gerne für sich alleine) und die Vorfreude auf das Gespräch bescherte mir schon vom Morgen weg gute Laune. Es ist irgendwie schwer zu beschreiben; es ist eine Grundheiterkeit, gemischt mit Spannung, wie ich sie sonst nur vor einem Auftritt kenne. Und diese Vorfreude wurde nicht enttäuscht!

Otto am Morgen ist eine wunderbare Medizin.

Und zwar so eine, die gegen alle Wehwehchen des Lebens hilft. Sein Haus strotzt vor Charme, Kunst und Erinnerungen. All die Dinge die Otto Zeit seines Lebens beschäftigt haben, sind irgendwie vorhanden. Dieser Ort ist für nichts anderes da, als darin zu leben. Und gelebt hat Otto immer sehr gerne. So gerne und so intensiv, dass er anscheinend gar nicht zum Nachdenken darüber gekommen ist. Wozu auch? „Mei Leben … is eigentlich a Wahnsinn … es is manchmal so, dass i gar ned Nachdenken deaf …“

Gesagt hat er das jedoch ohne Wehmut, eher mit einem Augenzwinkern. Eingefallen ist ihm dann aber doch allerhand. Er wusste als Kind noch nicht genau, was er wollte, er wusste aber sehr genau was er nicht wollte: die Schule! Viel zu interessant war das Leben für ihn, das sich außerhalb der Schule abspielte. Als klassischer Schulabbrecher hatte er zwar seinen Eltern keine Freude gemacht, die Freude aber, die er für sich entdeckt hatte, hält ihn bis heute in ihrem Bann und diese Freude spürt man bei ihm in jeder Sekunde. Und was macht ihm gar keine Freude? „Ich will aber nix Politisches oder so reden, des interessiert mi ned!“ Keine Angst, mich auch nicht! Damit beschäftigen sich ohnehin jede Menge Weichgeister und Selbstberufene — mir geht’s um das richtige Leben.

Als Kind schon war er fasziniert von den verborgenen Schönheiten, die sich rund um die Menschen befinden und die oft so überhaupt nicht wahrgenommen werden. Eine seiner ersten Aktionen, um diese Schätze freizulegen, war, als der kleine Otto mit seinen Freunden aus einem abgestürzten Kampfflieger — „ein russischer, oder ein deutscher, so genau hamma des ned g’wusst“— die Plexiglasscheiben herausgeschraubt hat, um aus ihnen Figuren zu basteln. Quasi seine ersten Kunstwerke. Seine Augen leuchten noch heute, wenn er davon erzählt und er hat natürlich noch irgendwo so eine Figur liegen (und nach einer viertelstündigen Suche in seinem unüberschaubaren Fundus auch gefunden!).

Nach der glücklosen Schulkarriere hatte er in seinem Leben jedoch mehrmals das Glück als Wegbegleiter. Seine Lehre als Elfenbeinschleifer (ja, das hat es damals noch gegeben) bei einem Meister, den er bis heute verehrt und der sein Talent erkannt und gefördert hat, war auch so ein Glücksfall. Und in so mancher Kurve auf der Achterbahn seines Lebens glaubt er, die Schutzengel in Gruppenarbeit beobachtet haben zu können. Wo immer er etwas gefunden hatte, das ihn interessierte, stellte er sein Leben und Arbeiten darauf ein. Durch sein handwerkliches Geschick in Verbindung mit seinem unglaublichen Talent schuf er Werke voller Leben und Persönlichkeit. Bei der Arbeit an diesen Werken ist es für ihn, als stünde er mit dem Universum in Verbindung. Er lässt den Dingen freien Lauf und fungiert quasi als Medium. „Des kaun und muaß ma ned immer verstehen …“ (Oja, ich tu das schon!)

Und er gab dann diesen Einflüssen auch immer nach und folgte seinen Instinkten — wohin sie ihn auch führten. Mit seinem feinen Gespür und der ihm ureigenen Neugier stellte er sich jeder ihm bietenden Herausforderung. Ob als Maler, als Musiker, als Bildhauer, als Skulpturenbauer oder als Fotograf (und das sind nur ein paar wenige der Stilrichtungen, die er bearbeitet) war er immer er selbst und setzte so viel von seinem Wesen in seinen Arbeiten um. Rings um ihn ist alles Otto … und alles ist gut! Ein Grundwesenszug seines Lebens? „Ich werde niemals Applaus suchen, das interessiert mich auch nicht!“ Obwohl er schon viel davon bekommen hat. Das „sich feiern lassen“ war nie seine Welt. Sein Universum ist in seinen Arbeiten und den Entdeckungen, die er dabei macht. Eine seiner größten Faszinationen liegt in der wunderbaren Welt des Bernsteins. In diesem versteinerten Pinienharz findet er die Schönheit und Geschichten. Sein Bernsteinlager ist riesig und er weiß, dass es sich in zehn Leben nicht ausgehen würde, all die wunderbaren Dinge aus der Versteinerung zu befreien.

Mi hot heite wos berührt, des is soo vüü älter ois euer Gott.

Wie tief seine Überzeugung sitzt, lässt sich vielleicht mit einer kleinen Geschichte beschreiben: Als er beim Schleifen eines Bernsteins ein wenig zu nah an einen Wassereinschluss kam, spritzte ihm das 50 Millionen Jahre alte Wasser ins Gesicht. Bald darauf war er unterwegs zum Pfarrer um seinen Kirchenaustritt mit folgenden Worten bekannt zu geben: „Mi hot heite was berührt, des is soo vüü älter ois euer Gott!“ Das ist Überzeugung – im wahrsten Sinne des Wortes!

Und was ich nicht alles gesehen habe, an diesem Vormittag: Von den ersten Figuren, die er geschnitzt hat über die Modelle seines ersten „Großauftrages“ — handgefertigte Pfeifen aus afrikanischem Kürbis, Meerschaum und Hartgummi — bis zu seiner selbstgebauten „Fotoanlage“, mit der er die Bernsteine fotografiert. Dazu immer wieder Geschichten und G’schichtln, von denen er aber nicht so gerne in der Zeitung lesen würde … was wirklich schade ist!

Seine künstlerische Arbeit ist wie ein tägliches Bungee-Jumping.
Aber ohne Gummiseil.

Die Werke des Künstlers Otto Potsch zu beschreiben, sprengt den Rahmen eines Zeitungsartikels. Das will und kann ich auch gar nicht machen. Dafür gibt es eine Internetseite, Museen und Ausstellungen und seine unzähligen Exponate, die sich über die halbe Welt verstreuen. Warum ich über ihn schreiben will, ist, weil mir die Wichtigkeit solcher Menschen sehr am Herzen liegt. In einer wirtschaftlich-technischen Welt, in der alles berechnet, prognostiziert und analysiert werden kann, ist die Wunderwelt des Otto Potsch wichtiger denn je.

Nichts passiert hier mit Kalkül. Alles ist möglich und was sich heute nicht zeigt, überrascht mich vielleicht schon morgen. Sich dieser Herausforderung zu stellen ist mit keinem hippen Nervenkitzel zu vergleichen. Seine künstlerische Arbeit ist wie ein tägliches Bungee-Jumping. Aber ohne Gummiseil! Und manchmal kommt man eben ein wenig härter auf, aber manchmal fliegt man auch in endloser Freude. Dieser Herausforderung stellte und stellt er sich bis heute.

A scheene Frau is fia mi wie des Kreuz an der Wand für an Pfaffen.

Immer macht er irgendwas. Nie macht er nichts. Und wenn er „wo ansteht“, es nicht weiter geht, oder er einfach nur die Lust verloren hat, dann lässt er alles liegen und stehen, dreht sich zu einer anderen Arbeit hin und macht dort weiter. Und genau diesen Eindruck vermittelt das Haus rund um ihn. Überall ist Etwas, nirgends ist Nichts, überall ist Er. Seine Inspiration ist rasch umschrieben: „A scheene Frau is fia mi wia des Kreuz an der Wand für an Pfaffen!“ … noch Fragen?

Der Vormittag zerbröselte in all den Geschichten und Anekdoten wie ein Vanillekipferl zu Ostern und als der Mittagshunger kommt, erlebe ich den Potsch’schen Blick für das Wesentliche im Alltag gleich hautnah! Er empfahl ein kleines Lokal am Stadtrand. Eine kleine Holzhütte in der Peripherie des Wirtschaftsparks, wo sich auf dem großen Parkplatz ganz gut Lastwägen und Fuhrwerke abstellen lassen, um sich an günstigen Mittagsangeboten zu delektieren. „Des glaubertst ned, aber die kochen sensationell!“ Und da ist er wieder! Der Künstler mit dem Blick für das Gute und Schöne im alltäglichen Leben. Und wie recht er gehabt hat! Die Knoblauchsuppe war genau so perfekt wie die Augsburger. Einfach und einfach gut.

Am Weg dorthin holten wir noch seinen Freund und Anwalt ab, der – obwohl ein Ureinwohner des Ortes – das Lokal auch nicht kannte und angenehm überrascht war. Von ihm hörte ich dann noch eine Geschichte, die das Bild von Otto Potsch schön abrunden konnte und die ich hier, da die anwaltliche Schweigepflicht schon verletzt wurde, gleich weitererzählen werde: Er durfte als Anwalt die Übergabe des Besitzes von Otto an seine Kinder regeln. Nach der Unterzeichnung aller Dokumente macht sich erfahrungsgemäß – so sagte er – bei den Klienten oft ein wenig Wehmut breit. Nicht so bei Otto! Dieser streckte nach der Unterzeichnung seine Hände zum Himmel und rief: „Endlich bin ich frei von der Last des Besitzes!“

Otto Potsch ist für mich wie das Weinviertel selbst.

Nichts drängt er einem auf, aber wenn man sich Zeit nimmt und sich mit ihm und seiner Arbeit beschäftigt, dann tun sich Welten von unglaublich sensibler Schönheit auf! Welten, die dem oberflächlich und nur nach dem Lustprinzip agierenden Erfolgsmenschen immer verborgen bleiben werden. Aber trotzdem sind diese Welten da. Rund um uns und in den verschiedensten Formen. Kaufen Sie eines seiner Bücher, besuchen Sie seine Museen oder stöbern Sie im Internet —aber vor allem: Nehmen Sie sich Zeit! Und sie werden staunen was es in Ottos Welt zu entdecken gibt … oder aber auch in Ihrer eigenen! Viel Vergnügen dabei!

Mehr über den Künstler auf www.otto-potsch.at

Aus der Wein4tlerin, Ausgabe 04/15 Winter

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