Moritz Jahoda: Der Fragologe

Ein Dorfkritiker mit Lösungen

Moritz Jahoda, ein aus dem Voralpenland zugezogener Kreativer, empfand das Marchfeld karg und traditionslos.  Aus Kritik wurde Gestaltungswille.

ERZÄHLT VON GABRIELE DIENSTL

Der selbsternannte „Fragologe“ Moritz Jahoda vermisste so einiges in der Zwischenwelt von Großstadt und Marchfeld, seiner neuen Heimat. Buntere Kulturveranstaltungen, Bewusstsein über die vorhandenen Ressourcen und eine anregende Lernumgebung für seine Kinder zum Beispiel. „Ich war unglücklich. Aber ich wollte mich mit meiner Umgebung aussöhnen und das erschaffen, was mir und auch meiner Frau fehlte.“ So sind dem umtriebigen Ideenfabrikanten bereits mehrere Initiativen zu verdanken, die zum Beispiel mit Kinofilmen an ungewöhnlichen Plätzen, einer Schatzkarte der Region und der „Schule der Neugier“ schon viele Menschen erreicht haben.

Kennst du die Suburbinale?

Das Tun von Moritz Jahoda ist dem Interesse an seiner Umgebung und den Menschen verschrieben, deshalb schaut er leidenschaftlich in unbekannte Ecken und entdeckt gern neue Perspektiven.
Eines seiner Lieblingsthemen ist der „Mensch im Zwischenraum“. Dieses ergibt sich durch seinen Wohnort im Speckgürtel von Wien, den er als nicht Stadt und nicht Land ansieht. Um auf diesem Gebiet mehr forschen zu können, wünscht sich der Querdenker einen wissenschaftlicheren Zugang und hat deshalb ein Anthropologiestudium aufgenommen. Eine breitenwirksame Aufarbeitung des Stadtrandthemas hat er bereits mit der „Suburbinale“ umgesetzt, einem Filmfestival, das sich als einziges weltweit mit den Herausforderungen und Chancen des suburbanen Lebensraums auseinandersetzt. Im Vorjahr wurden an die 300 Filmprojekte aus 60 Ländern eingereicht. Es findet heuer bereits zum dritten Mal in Groß-Enzersdorf statt.

Zusätzliche Angebote an Filmgenuss kombiniert mit ungewöhnlichen Spielorten sind das „Hofkino“ oder das „Sommerkino Marchfeld“. Dieses Kulturangebot nutzt Bauernhöfe oder Schlossinnenhöfe und schafft so Begegnung mit Inspiration abseits der Trampelpfade. Diese erweiterten Unterhaltungsmöglichkeiten für die Bevölkerung werden gut angenommen, wie die Auslastung der vergangenen Jahre bestätigt.

Was sind deine Heimvorteile?

Angespornt durch die in vielerlei Hinsicht vorgefundene Monokultur seiner Wahlheimat machte sich Jahoda auf die Suche nach andersdenkenden, vielfältig interessierten Menschen. Durch seinen Verein „Machbarschaft“, der kein geringeres Ziel verfolgt, als die regionale Identität zu fördern, möchte er Mitgestaltern Tür und Tor öffnen. „Ich will Menschen miteinander ins Gespräch bringen, inspirieren und im Idealfall motivieren, ihr Umfeld mitzugestalten“, so der Vereinsgründer.

Ihn enttäuscht das mangelnde Interesse der Menschen an ihrem Lebensraum. Jahoda wäre nicht Fragologe, würden sich ihm da nicht folgende Überlegungen aufdrängen: Sind die Menschen bereits in ihrem Alltag zu sehr überfordert, dass so wenige Kapazitäten für Außertourliches übrigbleiben? Wenn jemand über einen Zustand frustriert ist, warum sucht er oder sie dann nicht nach Lösungsansätzen? Wie sehr wünscht sich jemand wirklich eine Veränderung oder ist mit Jammern bereits der eigene Beitrag dazu geleistet?

Der gelernte Touristiker- und Werbefachmann spuckte jedenfalls in die Hände, blickte über den Tellerrand und suchte nach den Vorteilen im Marchfeld. Daraus entstand die digitale Schatzkarte „Marchfelder Heimvorteile“ als Orientierungshilfe für neue Bewohner und Alteingesessene. Es finden sich hier Freizeittipps und Kulturveranstaltungen, kulinarische Empfehlungen und schöne Naturplätze, die laufend erweitert werden. Das Marchfeld darf neu entdeckt werden und der Schatzjäger Jahoda freut sich über neu gewonnene spannende Bekanntschaften und Orte im Zuge seiner Recherchen.

Bist du noch neugierig?

Er selbst musste wieder lernen, die Welt mit offenen Augen zu sehen und Fragen zu stellen. Denn das sei absolut wichtig, meint derjenige, der die Neugier an sich als Antriebskraft für sein Handeln entdeckt hat. Dadurch, dass nicht alles hingenommen wird, ergäbe sich eine reflektierte und kritische Geisteshaltung, so Jahoda. Medien, Politik und Wirtschaft hätten es dann schwerer, der breiten Masse vorgefertigte Denkmuster überzustülpen.

Der zweifache Familienvater hat mit der Workshopreihe „Schule der Neugier“ eine inspirierende Lernumgebung geschaffen, bei der Kinder und ihre Eltern ungeniert Fragen stellen können. Dadurch ergeben sich viele Aha-Erlebnisse gekoppelt mit Wissenszuwachs, stellte er bei solchen Anlässen fest.

In unregelmäßigen Abständen werden Landwirte, Kreative oder Unternehmen besucht und ihre Schaffenswelt erkundet. Die Themen sind breit, von den Sternen bis in die Ackerfurche interessiert wissensdurstige Menschen alles, ist Jahoda überzeugt, und sieht die Vorteile dieser Art von lebendigem Lernen an den eigenen Kindern bestätigt. „Wenn jemand nicht nach seinem Beruf gefragt wird, sondern danach, was die eigentlichen Tätigkeiten seines Erwerbslebens sind, ergeben sich auch für den Befragten völlig neue Perspektiven“, schmunzelt der Fragologe. Ganz nebenbei werden durch diese Exkursionen in der Umgebung auch der eigene Lebensraum näher kennengelernt und die Schätze der Nachbarschaft entdeckt.

Darf ich dich was fragen?

Manchmal werden die Ideen und Visionen des Marchfelder Fragologen belächelt, das macht ihn schon ein wenig nachdenklich. „In unserer Gesellschaft haben die Antworten den höheren Stellenwert, aber ich finde, dass die Fragen an sich sehr starke Kräfte freisetzen.“ Wenn es nach ihm ginge, würde an vielen runden Tischen kein Brainstorming stattfinden, sondern ein „Questionstorming“. Die so gewonnenen Fragen können helfen, völlig neue Lösungsansätze zu entdecken, an die zuvor niemand gedacht hat.

Viele seiner Projektideen hat der Tausendsassa schon umgesetzt, einige warten noch darauf: So tüftelt er beispielsweise an einer Flachland-Version des Forum Alpbach oder träumt von einem „Ministerium für Gemeinschaft“. Bleibt abzuwarten, welche seiner Visionen er als nächstes umsetzt. Bis dahin begeistert er die Marchfelder mit vielfältiger Kultur oder fordert Sie mit Fragen heraus. So oder so hilft er mit, das regionale Bewusstsein zu fördern und die Komfortzone zur „Komm-Vor-Zone“ zu machen.

www.machbarschaft.at

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