Gesamtkunstwerk: Manfred Linhart

In Niedersulz wird gerne an der Zeit gebastelt. Der eine hat hat sich im Laufe seines Lebens ein ganzes Dorf der Erinnerungen aufgebaut, der andere baut seit vielen Jahren an seinem Leben herum, das er wie ein Kunstwerk in die Tristesse der landläufigen Kleingeistigkeit integriert hat. Beruflich kann man ihn nicht festmachen. Er schwurbelt in der selbstgewählten Dreifaltigkeit von Schule, Kabarett und Winzertum herum wie ein Laboraffe, der je nach persönlicher Befindlichkeit einmal den und dann wieder den anderen Knopf drückt, um die beobachtenden Professoren um ihn herum zu beeindrucken. Einfangen lässt er sich auch nicht, von keinem der Berufe. Aber erzählen tut er gern drüber. Die Wichtigkeit der persönlichen Zuneigung wechselt zwar oft, aber momentan gibt es dafür folgende Wertung …

ERZÄHLT VON JIMMY SCHLAGER. FOTOS: RENÉ DIPPOLD

 

1. Der Herr Lehrer

In der landwirtschaftlichen Fachschule in Mistelbach übt er den Beruf des Religionslehrers aus. Das verwirrt anfangs, weil er als kritischer Geist so ganz und gar nicht in die streng reglementierte und teilweise obskure Welt der klerikalen Amtskirche passt. Aber gerade sein Zugang zum Glauben und zur Göttlichkeit macht ihn wahrscheinlich zu einem der interessantesten – und sicherlich auch beliebtesten – Lehrer dieses Fachs.
„… ich bin kein religiöser Mensch, ich bin ein inspirierter Mensch!“ sagt er dann, wenn er mit großen Augen nach dem „Warum?“ gefragt wird. Und diese Antwort ist durchaus GLAUBwürdig (Dieses Wortspiel kann ich mir jetzt nicht verkneifen!).

Seine Inspiration bezieht der bekennende Gotik-Fan (Achtung, das ist ein Baustil! Nicht zu verwechseln mit der Punk-Subkultur „Gothic“ aus den 80er Jahren! Er ist kein „Headbangler“), teilweise aber auch aus den sakralen Gebäuden, die ihn magisch anziehen. Wann immer er kann, schleicht er in den dunklen Gemäuern noch so weit entfernter Kirchen herum, um ein wenig „Heiligen Geist“ aus den Ritzen der Wände zu kratzen. Diese Inspiration, gepaart mit einer durchaus kritischen Haltung zur Amtskirche, versucht er dann natürlich auch an seine Schüler weiterzugeben. Es ist immer der Moment der Inspiration, der den Geist festigt und ihm Flügel verleiht. Blinder Glaube, ohne die Fähigkeit kritisch darüber nachzudenken, ist so wertvoll und interessant wie eine „Ikea-Kirche aus Sperrholzplatten mit Rigipsverkleidung“.

So einen Religionslehrer kann man sich nur wünschen als Schüler! Und wenn er dann Nachtdienst schiebt im Internat, dann ist der Beliebtheitsfaktor recht hoch bei seinen Schützlingen … irgendwie spüren die halt auch die beiden anderen Berufe in ihm. Ja, stimmt! Da war noch was …

2. Der Kabarettist

Wurde er als Kind nach seinem Berufswunsch gefragt, dann kam meist sehr schnell die Antwort: „Ich will Clown werden!“ Und irgendwie hat er sich diesen Traum auch erfüllt. In seinen Kabarett-Programmen versucht er Menschen Themen näherzubringen, die ihn interessieren und die er für wichtig hält. Und er weiß, dass sich gerade schwierige, sperrige und vor allem schwere Themen nur über den Humor transportieren lassen. Gut verpackt, gelingt es auch die einfachsten Gehirne mit dem Zweifel zu infizieren, der im tiefsten Inneren schlummert, und über den es sich im Normalfall sehr bequem nicht-nachdenken lässt.
Für diese Tätigkeit geht der treue Familienmensch gerne wechselnde Partnerschaften ein, je nach Verfügbarkeit und „inhaltlicher Brauchbarkeit“. Da ist ihm dann fast jeder Bühnenpartner recht, der ihm gelegen erscheint, und er hat da auch ein durchaus „g’schicktes Handerl“ dafür.

Auf die Intensität und die Häufigkeit angesprochen, lässt sich schon eine leichte Sehnsucht nach mehr Häufigkeit erahnen. Diese spielt er aber geschickt herunter: „I spüü mehr, wås ma Spaß måcht … und wås mei Frau mir sågt!“ Er kann sich’s halt leisten, was will man mehr?

Kulturell war und ist er in so einem Weinviertler Dorf natürlich auch immer vom Brandmal des „Sonderlings“ nicht weit entfernt. Egal welche Aktivitäten er mit seinesgleichen setzt, immer trifft er auf Skepsis und Unverständnis, was aber auch gleichzeitig Bestätigung ist für so Menschen wie ihn „Då bist dann glei der Komische, oder der Grüne …“ sinnert er, aber ohne auch den leisesten Anflug, sich in dieser Richtung bessern zu wollen.
Das ist eben die Würze, deshalb macht man das ja. Und in der Sache selbst ist er immer unbeirrbar. Die Zweifel sind zwar sein ständiger Begleiter und prägen seine Persönlichkeit, aber: „Wer die Hand an den Pflug legt, der blicke nicht zurück!“, steht ja schon in der Bibel, und wenn der Manfred wo Hand anlegt, dann soll die ländlich-kleingeistige Scholle schon merken, dass an ihr gegraben wird. „Er måchts ja gern!“ … und die Reaktionen werden mit der Zeit auch milder.

Irgendwann ist die Freiheit der Narren auch ihr größtes Kapital, das sich im Gegensatz zum Geld sehr wohl von selbst vermehren kann. Der freie Mann aus Niedersulz geht daher mit seinen Freiheiten auch recht großzügig um. Er macht es wann er will und wann er kann. Und wenn er nicht will, dann will er halt nicht, und auch das muss man können! Bei seinen Kabarettaktivitäten mag das vielleicht so sein, bei seiner dritten Leidenschaft schaut das schon ein wenig anders aus. Da ist nicht er der Herr der Termine, sondern das Wetter und die Jahreszeiten …

3. Nebenerwerbsweißweinbauer

Was sich liebt, das neckt sich – und was nicht gelingt, das schmeckt nicht! Wenn einer sehr gern Wein trinkt, dann ist das schon eine Leidenschaft. Wenn er ihn auch noch gerne selber macht, dann ist das quasi der Gipfel des Vergnügens.
Im vom Großvater übernommenen „Wein-gut“ (dieses Prädikat hat er sich aus Sicherheitsgründen gleich selbst verliehen) keltert der Linhart seine eigenen Lieblingströpferl und auch das macht er richtig! Die Weingärten sind natürlich biologisch bewirtschaftet, nicht aus Leidenschaft, sondern aus Überzeugung!, wie er betont!

Mit seinem Traktor (der ihm wirklich gut steht) betreut er die Trauben bis zum Genuss im Glase. Was ihm dabei hilft ist die Liebe zur Natur und zu den Dingen die er gerne macht. Eine Liebe die man bei ihm in jeder Sekunde spürt, wenn er darüber redet. Und es hilft ihm neben dem Freundeskreis und der gesamten Familie (Sohn Achim und Frau Martha) immer mehr auch seine Tochter Lea, die dem Papa aufgrund ihrer Ausbildung schon um ein paar Studiengänge inhaltlich voraus ist, was sie ihn aber nur selten spüren lässt. Dieses Wissen lässt sich gut in Qualität umsetzen und so wird er die anfangs gewählte Schreibweise vom „Wein-gut“ bald nicht mehr brauchen, es trifft auch ohne Bindestrich zu!

Der Weinbau ist für ihn Hobby und Ausgleich. Die Arbeit ist hart und das Diktat des Arbeitsjahres wesentlich gnadenloser als sein Stundenplan in der Schule. Es gibt quasi immer etwas zu tun, und so treibt es den Ruhelosen halt stets durch den Tag.

Was er machen würde, wenn er das alles nicht hätte? Da überlegt er auch nicht lang: „Mich interessieren die Sprache und leere Kirchen“ und wenn Zeit ist, und gerade keine Kirche in seiner Gasse vorbeischaut, dann sitzt er gerne im wirklich beschaulichen Garten seines Hauses herum und lässt „den Herrgott einen guaden Månn“ sein.
Er schmückt sich nicht gerne mit fremden Federn, und deshalb lässt er überhaupt keinen Zweifel daran, dass er für die Gestaltung des Gartens nicht verantwortlich ist. Dieses oasische Kleinod entstammt den künstlerisch versierten Händen seiner Frau Martha, die seit vielen Jahren schon ein Leuchtturm ist im wilden Ozean des Lebens eines getriebenen Leidenschaftlers, der sich während seiner Lehre als Bauspengler auch in seinen kühnsten Träumen noch keine Vorstellung von seiner Zukunft machen konnte.

Und irgendwie hat man bei ihm immer das Gefühl, dass er sich auch heute kaum Gedanken macht. Er nimmt es wie’s kommt. Und wenn sich das auch abgedroschen anhört, bei ihm scheint es wirklich zu stimmen. Fürchten tut er sich nicht, dazu ist er zu gescheit. Sorgen tut er sich auch nicht, dazu ist er zu erfahren. Bedrücken muss ihn auch nichts, dazu ist er zu beliebt. Und bekannt ist er auch.

Seine Gassenfeste sind legendär und seine ungeschont spröde Ehrlichkeit bereichert jede Gesprächsrunde. Er plaudert ja gerne, „a mit Deppen“ … wenn’s denn sein muss … Lieber sind ihm schon die Treffen, wo er was lernen kann. Und wenn er die Gelegenheit dazu hat, dann macht er von den Lehren ausgiebig Gebrauch. Vom befreundeten BIO-Winzer Hans Zillinger hat er sich die Überzeugung zur naturverbundenen Landwirtschaft abgeschaut und vom Geissler Pepi, dem Gründer und Erbauer des Museumsdorfes, hat er das Verständnis und die Liebe zum Bauen geschenkt bekommen. Und bauen kann er!

Das Haus der Familie Linhart ist ein Spiegelbild der Künstlerseelen des Ehepaars. Mit viel Liebe und Fachkenntnis wurde hier ein Traum aus Ziegel, Lehm und Holz verwirklicht, der den Charme der beiden herrlich widerspiegelt. Alle Register der Baukunst hat er da gezogen, der Manfred! Ein Kachelofen in der Küche ist so wohlgeformt als wärmende Sitzecke in den Küchentisch integriert, dass der Verfasser dieser Zeilen schon manchmal mit latenter Schläfrigkeit zu kämpfen hatte, wenn er sich denn in den Wintermonaten zu den Linharts verirrte. Nein!, das lag nicht an den Geschichten des Hausherrn, das war pure Geborgenheit beim Knistern der Holzscheite!

Im Schlafzimmer hat er ein Kreuzgewölbe gebaut (mit dem Pepi Geissler natürlich), das den Postler, der die Festnetztelefonbuchse montierte, zu der Frage nötigte: „Woa des amoi a Goaßstoi?“ und dessen „blödes Gschau“ nach der Antwort: „Naa, des hauma neich baut!“ den Manfred noch bis heute erheitert. Dieses Gschau kennt er nämlich zur Genüge. So schauen die Leute immer, wenn sie das Gefühl haben, etwas nicht zu verstehen. Und dieses Gefühl gibt ihnen der Linhart in seiner selbstlosen Art recht gerne. Dann ist er wieder da, der Sonderling und grinst innerlich, der Komische, oder gar: der Grüne. Sowas macht ihm Spaß und bestätigt ihn in seiner Haltung und in seinem Sein. Mit dieser Art kann er auf alles reagieren was ihn nervt, und so lässt es sich auch mit der geistigen Enge eines Weinviertler Dorfes umgehen, in das er geboren wurde, und das ohne den Linhart um die eine oder andere Dimension enger wäre.

Es sind ja immer die Narren, oder die Clowns, die durch Überzeichnung den Blick auf das Wesentliche schärfen. Und das macht er, der Sensible, fast schon intellektuelle Prolet und Bauer Manfred Linhart. Möge er es weiterhin tun, damit wir auch im nächsten Jahr wieder mit dem Kabarett-Wein anstoßen können. Prost!

Aus der Wein4tlerin Winter 2018
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