Gerhard Weißgrab: Einmal Erleuchtung, bitte!

So einfach ist es leider nicht. Es gibt keine schnellen Antworten, die auf Dauer zufriedenstellen.

Es gibt auch keine simplen Botschaften, die allen tiefen Fragen standhalten. Aber es gibt den eigenen Lebensweg und die eigenen Erkenntnisse dazu.

ERZÄHLT VON GABRIELE DIENSTL.

 

Aufgewachsen in dem beschaulichen Weinviertler Örtchen Oberkreuzstetten, hier zur Schule gegangen und in der Pfarrkirche ministriert, das war die Kindheit des heute vielfach geehrten und international gefragten Vertreters der buddhistischen Religion. Gerhard Weißgrab erinnert sich an eine Bilderbuchkindheit. Das Elternhaus, in dem er auch heute noch wohnt, wurde von seinen Großeltern in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaut, und wie aus dem vorigen Jahrtausend mutet ihm aus heutiger Sicht seine Kindheit an. Er hat vier Jahre in der einklassigen Volksschule die wackelige Holzbank gedrückt, und am Heimweg die frechen Gänse mit der Schultasche abgewehrt. Mit der Oma und einem Rucksack marschierte er über den Feldweg zum eigenen Weinkeller in der Kellergasse, um Wein zu holen. Rundherum die Freiheit der Natur. Eine wunderbare Kindheit am Lande, schwärmt er heute.

Da ist vieles nicht stimmig

Mit 17 Jahren zog Gerhard Weißgrab nach Wien, um die Handelsschule abzuschließen und nachfolgend im kaufmännischen Bereich zu arbeiten, welchem er bis zu seiner Pensionierung treu blieb. Mit der jungen Liebe zu seiner Freundin kamen aber die ersten Zweifel an den moralischen Grundsätzen der katholischen Kirche: „Wieso lebe ich nach Kirchenmeinung nicht richtig?“ Weitere Auseinandersetzung mit religiösen Konfliktthemen, wie der Verurteilung von Galileo Galileis astronomischen Erkenntnissen durch die katholische Kirche, welche erst über 350 Jahre später, nämlich im Jahr 1992 widerrufen wurde, entfernten Weißgrab immer mehr davon, sich in der katholischen Religion gut aufgehoben zu sehen.

Ein langer Weg zum Buddhismus

Das Reisen entwickelte sich zu einer Leidenschaft des jungen Mannes, je tiefer er in fremde Länder eintauchen konnte, umso wertvoller empfand er die Erfahrungen. Nordafrika, Ostafrika und schließlich Sri Lanka zeigten ihm nicht nur Land und Leute, sondern auch spirituelle Vielfalt. Auf Sri Lanka kam er das erste Mal mit dem Buddhismus in Kontakt. Die Erklärungen einer Schweizer Führerin in Kombination mit dem Beobachten des buddhistischen Alltags der Menschen ließen Weißgrab aufhorchen und er empfand diese Lebensweise als authentisch, rücksichtsvoll und frei von Zwängen.

Ein buddhistisches Samenkörnchen war offenbar in ihm gelegt worden. Dennoch sollte es noch 15 Jahre dauern, bis der heutige Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft sich tatsächlich zu dieser Religion bekannte. Bis dahin besuchte Weißgrab ab und zu Vorträge, las Fachbücher und es ergaben sich auch immer wieder Gespräche mit Buddhisten in Österreich und in aller Welt. In Wien wurde er vom damaligen Vizepräsidenten der Buddhistischen Religionsgesellschaft Theo Strohal ermutigt, sich aktiv in deren Vortragstätigkeiten einzubringen, und so begann Weißgrab vor Schülergruppen die buddhistische Lebensweise und die dahinterstehende Philosophie zu erklären. Das Interesse von suchenden jungen Leuten an Sinnfragen freut ihn auch heute noch, so ist zum Beispiel eine Ethikvorlesung an der Technischen Universität Wien regelmäßig überlaufen. Durch die Vortragstätigkeiten wuchs Weißgrab mehr und mehr in die Aktivitäten der Buddhistischen Religionsgesellschaft hinein und übernahm in der Folge auch verschiedene Ämter.

Religion soll den Menschen dienen

… und nicht umgekehrt. Die buddhistischen Lehren führen Menschen dazu, ihre eigenen Schlüsse und Einsichten für ein Leben unter der ethischen Komponente „Achtsamkeit für ein gutes Miteinander“ zu ziehen. „Wenn man diese Erkenntnisse selbst gewinnt, ist es viel leichter ihnen auf seine Art zu folgen als jenen Regeln, die von außen kommen“, erklärt Weißgrab. Er kann und will nicht behaupten, dass alle der geschätzten 30.000 praktizierenden Buddhisten in Österreich jederzeit die Werte der Achtsamkeit in ihren Alltag integrieren, aber „ich gehe davon aus, dass ein Buddhist bei einem Streit die Ursachen dafür zuerst bei sich selbst sucht“, so der überzeugte Anhänger von Buddhas Lehren.

Das Verständnis dafür, dass zwischen allem – ob Mensch, Tier oder Pflanze – eine nachhaltige Verbundenheit besteht, lässt in seiner Schlussfolgerung keine Abkoppelung des eigenen Tuns und Lassens vom Geschehen auf der Erde mehr zu. Unter diesem Aspekt hat Gerhard Weißgrab die Initiative „Animal Compassion“ ins Leben gerufen, die sich unter anderem dem Thema „Tierleid in der Fleischproduktion“ widmet. Seit zehn Jahren Vegetarier, übrigens für ihn auch ein langer Weg dorthin, lädt Weißgrab immer wieder zur Diskussion zu diesem Thema ein, um das Bewusstsein dafür zu stärken.

Wünsche für den Buddhismus in Österreich

Das im Buddhismus stets präsente „Werden und Vergehen“ aller Dinge im Wechselspiel lässt Weißgrab auch an die Zeit nach seiner Präsidentschaft bei der ÖBR denken. Er hat dieses Amt nun zum dritten Mal in Folge inne und wünscht sich nach 2021 einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin.
Die Rolle der Frau ist in den diversen buddhistischen Ausprägungen des gesamtasiatischen Raums sehr unterschiedlich angelegt, von stark untergeordnet bis gleichwertig. In Europa und in der 120 jährigen Geschichte des Buddhismus in Österreich können sich Frauen gleichermaßen wie Männer einbringen. Derzeit sind die beiden Vizepräsidentinnen der ÖBR weiblich, und vielleicht gibt es ja eine Frau, die das Präsidentenamt übernehmen wird.

Fast alle Tätigkeiten für den Buddhismus in Österreich werden ehrenamtlich ausgeführt. Das Planen und Durchführen von internationalen Jugendtreffen, Friedenssymposien, Vorträgen an Universitäten, Volkshochschulen, bei Vereinen und Clubs oder die Vorbereitung von Diskussionsplattformen wird von den Mitgliedern in ihrer Freizeit getätigt. Damit sich diese seit 1983 in Österreich staatlich anerkannte Religion langsam und kontinuierlich weiter entfalten kann, bräuchte es vor allem im ländlichen Raum mehr buddhistisch geprägte Menschen, die der wachsenden Schar von Sinnsuchenden ihre Angebote offerieren. „Wir missionieren nicht und gehen daher nicht aktiv auf Menschen zu“, beschreibt Weißgrab, „aber unsere Türen sind offen und wir möchten bekannter werden.“

Das Gemeinsame in allen Religionen suchen

Der interreligiöse Dialog ist dem Buddhistenoberhaupt aus dem Weinviertel ein besonderes Anliegen. Weißgrab möchte nicht über die unterschiedlichen Glaubensinhalte der Weltreligionen diskutieren, sondern sich vom Exklusivitätsanspruch einer einzigen Religion als „die alleinig seligmachende“ lösen.

Die Suche nach Gemeinsamkeiten aller Weltreligionen, auch unter Einbeziehung von nicht religiösen Weltbildern, ist ihm die wichtigste Grundlage für einen wertschätzenden Dialog von Menschen miteinander. Wenn nach einem Symposium mit Beiträgen aller Religionsvertreter nur einige wenige Teilnehmer nach Hause gehen, die ihren Blick auf dieses Thema nun öffnen und auch die heilsamen Essenzen anderer Glaubensrichtungen und Weltanschauungen anerkennen, sieht er das bereits als einen wesentlichen Baustein für den Weltfrieden. „Es geht darum, zwar aus der Vergangenheit zu lernen und für die Zukunft zu planen, aber nur im Hier und Jetzt sind Entscheidungen und Handlungen wirksam“, plädiert Gerhard Weißgrab für einen bewusst achtsamen Lebensstil. ♦

Aus der Wein4tlerin Frühlingsausgabe 2019
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