Friedl Umschaid: Der Zu-Friedl

Schon die Anreise zum Friedl Umschaid ist ein Quell der Ruhe. A5 Nordautobahn (da ist nie viel los) und dann Abfahrt 41, da wird’s gleich noch viel ruhiger. Vorbei an verträumten Ortschaften mit Plakatständern, die auf Weinviertler Sommerkultur-Highlights hinweisen – vom Laientheater über Austropopkonzerte bis hin zu einem Auftritt von Mark Pircher ist so ziemlich alles dabei, was an bedrückend langen Sommertagen Zerstreuung bietet.

ERZÄHLT VON JIMMY SCHLAGER | FOTOS: FRIEDL UMSCHAID PRIVAT

 

Und immer wieder diese Kellergassen … kaum ist man durch eine durchgefahren, beginnt schon die nächste. Dazwischen ist viel Gegend … nichts als Gegend (Gottseidank noch nicht mit Windrädern verseucht). Irgendwie beginnt sich die Zeit zu verändern … sie wird durchsichtiger und verschwindet bald ganz. Kurz vor ihrem Stillstand erreicht man dann „Herrnbaumgarten“. Einen Ort, an dem sich normalerweise Fuchs und Hase gute Nacht sagen, würde „Er“ nicht dort wohnen.

„Zwischen Kirche und Wirtshaus“ … so hat er mir seine Adresse beschrieben, liegt das Anwesen vom Friedl, das mindestens die gleiche Ruhe ausstrahlt, wie sein Bewohner. Das Tor ist offen, versperrte Türen sind hier noch eine Seltenheit. Wie lange seine Familie schon auf diesem Hof sei, war eine meiner ersten Fragen, die Antwort: „ … i glaub scho immer!“, überrascht nicht. Vermutlich wurde der Ort um den Hof der Umschaids gebaut, so genau weiß das niemand, ist aber auch wurscht!

Der Jungbauer Friedl begann seine Landwirtskarriere mit Schweinen. „Åber wia i dånn die ersten Viecha teuer einkauft und bülliger wieder verkauft håb, håb i daun glei auf an Heurigen umg’stellt.“ Das leuchtet ein. Einleuchtend ist auch, dass der musisch begabte Bauer seinen Beruf mit seiner Berufung kombiniert hat. Es war 1977 und der Jungbauer war 22 Jahre alt.

 

 

Der Heurige allein hätte aus seinem Leben aber nicht das gemacht, was schließlich daraus geworden ist. Er begann schon nach kurzer Zeit Ausstellungen zu organisieren. Das veränderte auch sein Gästeprofil. „De von da Gegend san dånn nimmer so kumma, dafia åber de Leit von weiter weg.“ Es fand quasi zusammen, was zusammen gehört. Bei den Ausstellungen ist es nicht geblieben. Es wurden Konzerte gegeben und Lesungen gehalten: „Der H.C. Artmann is a Stund z’spät kumma, då håm de Leit scho g’woat. Und dånn håt er si no zwaa, drei Vierterl eineghaut und håt åber super g’lesen!“

In seiner Gaststube zeugen die Plakate von vergangenen Sternstunden. Von Anfang an gaben sich dort die Künstler die Klinke in die Hand und so mancher kam auch ohne Auftritt immer wieder beim Friedl vorbei, und wenn’s nur darum ging, ein Flascherl Wein zu kaufen … und dabei vier oder fünf zu trinken …

1984 begann er mit seinem Partner im Geiste, Fritz Gall, das „Nonseum“ zu gründen – ein Museum der Irrsinnigkeiten. Das gibt es bis heute. Es wurde auf Anhieb zu einer Institution und lässt den Friedl auf unzählige Aktionen zurückblicken: „… amoi håmma sogoa a Gerücheausstellung organisiert …“, schmunzelt er. Um das Spektrum zu erweitern rief er beim damaligen Direktor des Safariparks Gänserndorf an, weil er noch „Stoff“ für die Abteilung „Hinterlassenschaftsgerüche“ brauchte. „Åm Åufaung håt der glaubt i bin deppert und woit mi „oschasseln“ (wenn Sie, geneigte Leserschaft dieses Wort nicht verstehen, dann lernen Sie gefälligst unsere Sprache!), oba wia i ned lockerlåssen håb, håt er mi dånn einelassen!“ Mit einem Zoowärter fuhr er im sicheren Geländewagen durch die Parks und sammelte diverse Häufchen von Tigern, Löwen, Zebras und anderen Wildtieren, womit die Ausstellung gerettet war!

 

 

Gegen Ende der 80er Jahre baute er dann seinen alten, nicht mehr im Gebrauch stehenden Weinkeller in der Kellergasse zum Weinarchiv um. Zumindest hatte er das vor. „Auf Jå und Naa“ hatte er zehn Weinkeller „z’åmkauft“ und diese miteinander verbunden. Und dieses „Kellerlabyrinth“ war dann gleich 2001 der Austragungsort des ersten „Erdballs“. Ein festlicher Ball unter der Erde. Diese Einmaligkeit lockt seither unzählige Besucher unter die Erde von Herrnbaumgarten. In jedem Keller gibt es eine Bar und ein Live-Konzert. Hat man sich satt gehört, geht man zur nächsten Kellerröhre. Dazwischen trifft man Leute, trinkt, hört zu, isst und drängt und zwängt sich so durch einen stimmungsvollen Abend, wie ihn nur einer erfinden kann, dessen Irrsinn sich schon in vielen anderen Aktionen manifestiert hat. „Jo, mia haum scho vüü aufgfiat …“, schmunzelt er mit seinen grinsenden Augen.

Ganz, ganz lange bevor „de in Wean“ auf die Idee mit den Sandstränden bei den Cocktailbars gekommen sind, hat es in Herrnbaumgarten schon einen „Weinstrand“ gegeben. Fünf Lastwagenfuhren voll Sand wurden in der Kellergasse aufgeschüttet, in hölzernen Bottichen das Meer simuliert und in Liegestühlen die Weine genossen. „Und auf Endlosschleifen håmma Meeresrauschen vorgspüüt, des woa echt a Hetz“, zeigt sich der Winzer zufrieden.

Oder die Podiumsdiskussion mit dem Thema „Richtungskongress“! Mit Experten und Kollegen wurde bei diesem Event über diverse Richtungen diskutiert. Wo ist oben, was ist schräg und was kann nach hinten losgehen …? „Aussekumma is natialich ned vüü, åber des woa jo eh kloa …“ gibt sich der Friedl bescheiden. Dabei ist es gerade das „Nix-aussekumma“, was ihn und sein Werken so wichtig macht.

Er ist die personifizierte Antwort auf das Leistungsdenken und den Anspruch in jedem Tun das Ziel und den Sinn vor Augen zu haben. Gerade in der Sinnlosigkeit mancher Aktionen ist beim Friedl oft mehr Substanz zu finden, als in den bestgeplanten und superoptimierten Leistungen unserer Gesellschaft, nach denen alle so zu streben scheinen. Hier wird nicht gestrebt und es passiert trotzdem so ein großartiges NICHTS … davon können andere nur träumen!

 

 

„Fad is ma ned!“, gibt er auch lächelnd zu, denn er muss nicht nur sein Weingut, sondern auch seine mittlerweile doch recht zahlreichen Freundschaften im In- und Ausland pflegen. Neben Besuchern sind auch viele Künstler zu Freunden geworden. Manche begleitet er schon seit ihren Anfangszeiten, wie etwa Andrea Händler, die er schon mit „Schlabarett“ in seinem Stadel auftreten ließ. „Då woan de no gånz am Aufaung“, erinnert er sich, und er hat sie um die fette Gage von 4.000 Schilling (das ist das Geld vor dem Euro …) engagiert. „ … a Joah später, då haums dånn scho 5.000 Schilling kost‘, då hauma dånn vahaundln miassen …“, gibt der Geschäftsmann grinsend zu. Bei Peter Turrini war das ähnlich, er rief ihn an und fragte, ob er denn nicht bei ihm lesen wolle? Die Antwort: „Na, wollen tu ich schon, aber das wirst du dir nicht leisten können!“, war aber für den Friedl eher Ansporn als Hindernis. Natürlich konnte er sich „den Turrini“ nicht leisten, aber weil er eben so ein lieber Kerl ist, der Fritz, und weil er – wenn er sich was in den Kopf gesetzt hat – diese Karte auch recht gut ausspielen kann, hat sich nach längerem Hin und Her nicht nur eine Lesung, sondern auch eine Freundschaft mit dem Literaten ergeben, und ab und zu besuchen sie sich gegenseitig und tauschen sich aus: „ … i bring dånn immer a Flåschen Wein mit und kriag von eam dafia a Biachl …“, der Handel blüht!

Beim Rundgang durch sein Anwesen merkt man überall die gewachsene Struktur seiner Verspieltheit. Das Labyrinth seiner Weinkeller setzt sich in seinem Wohnhaus (und wahrscheinlich auch in seinem Leben) in liebevoller Weise fort. Da ein Stück Geschichte, da eine Erinnerung, da eine Bilderserie seiner Kinder, und überall diese verstörende Ruhe (und ich bin mir dabei gar nicht sicher, ob er diese Ruhe überhaupt bemerkt …).

 

 

Ein paar Aktivitäten hat er in letzter Zeit schon ein wenig „reduziert“. Das „Heurigenschenken“ hat er bis auf ein paar wenige Festivitäten eingestellt. Viel lieber macht er in letzter Zeit Kellerführungen. „Då bin i allaanich und brauch kaane Ang’stellten …“. Und interessanter ist es auch: Die Gäste, die ja wirklich aus aller Welt bei ihm vorbeischauen, sind am Anfang manchmal noch recht steif, aber wenn sie nach ein paar Stunden und einigen Verkostungen wieder ans Tageslicht treten, dann sind sie wie ausgewechselt. „Die Wööd schaut ånders aus wenns´d wieder åns Licht kommst!“, grinst er mit dem Lächeln des Wissenden, der mit Hilfe von Veltliner, Welschriesling und Cabernet schon in so manche Abgründe menschlicher Seelen geschaut hat. „Nåch de ersten zwaa, drei Kostproben werdn’s dånn scho a bissl lockerer, oft sogoa fåst fröhlich!“. Ich kann mir das nur allzugut vorstellen …

Beschenkt mit Weinproben und einem „Flyer“ ( … den håt ma aana g’måcht, a Fotograf …) vom Kellerlabyrinth will ich dann wieder nach Hause fahren, bleibe aber doch noch in der Kellergasse hängen und spaziere durch die Weingärten, die mir jetzt noch saftiger und selbstverständlicher erscheinen als sonst.

Irgendwie ist es ruhig hier in Herrnbaumgarten. Und irgendwie auch nicht. In dem Dorf, in dem – wie gesagt „de Hund mit´n Oasch bellen“ (das habts noch nicht gekannt, gell?) – hat „der Friedl“ zwar als Sonderling begonnen, aber mittlerweile kommt der Ort nicht mehr um ihn und sein Werk herum. Hier heroben war für sehr, sehr lange Zeit die Welt zu Ende. Und genau an diesem Ende hat er mit dem Anfang einer neuen Welt begonnen. Sie ist nicht perfekt, und gerade dieser Umstand macht sie so richtig liebenswert.

Heute muss er noch den Hof weißen, weil in den nächsten Tagen ein Freund aus Deutschland seine Hochzeit bei ihm feiern will. „Und wås måchst sonst allerweil?“ „I måch immer wås! Weu: Wauns´d nix tuast, is goa nix!“ … mit dieser tiefgründigen Weisheit entlässt er mich. Und ich Sie, geschätzte Leserin, jetzt auch … ♦

umschaid.at

Aus der Wein4tlerin Herbst 2018
Das könnte dir auch gefallen

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.