Chris Heller: When I´m sixty-four

Aus der Serie: „Berühmte Weinviertler, denen das wurscht ist“ präsentieren wir Ihnen heute eine der integrativsten Figuren der regionalen Kultur-Elite. Er ist das Wahrzeichen der Weinviertler Klangszene, aus dem musikalischen Bewusstsein der Region nicht wegzudenken und sollte an diversen Kreisverkehren mit Büsten gewürdigt werden! Bekannt und beliebt ist er unter dem klingenden Namen Chris Heller.

Ich habe lange überlegt, wie so ein Lobgesang auf ihn zu singen wäre und bin zu dem Entschluss gekommen, Sie, geschätzte Leserin und Leser(er) an einem Konzertabend mit Chris Heller und mir teilhaben zu lassen! Stellen sie sich also vor, Sie sind Musikerin oder Musiker und für heute Abend mit Chris Heller und Ihrer Band zu einem Termin in einem der zahlreichen Weinviertler Hotspots gebucht. Treffpunkt ist die Autobahnraststätte Hochleithen. Aber nicht beim Mc Donald’s. Nein, im Tankstellenshop passiert das richtige Leben. Egal wann sie ankommen, Chris Heller ist schon da!
 
Ein sonoriges „Hello, hello“ schallt Ihnen entgegen und sein wacher und freundlicher Blick, der sich weder von den umliegenden Zeitungen, noch vom ständig laufenden Fernseher ablenken lässt, versichert Ihnen, dass er seine ganze Aufmerksamkeit und Freundlichkeit Ihnen widmet … na ja, außer der Tankstellenbetreiber hat eine neue, recht junge und hübsche Verkaufskraft eingestellt, dann müssten Sie diese Aufmerksamkeit ein wenig teilen …
 
Die Fahrt beginnt und sie merken schnell: Die gemächliche Ruhe, die er ausstrahlt, setzt sich charakteristisch in seinem Fahrverhalten fort. Während langsam die Sattelschlepper an Ihnen vorbeiziehen (wohlgemerkt an der linken Seite, denn Sie werden gerade überholt!), ahnen Sie zu verstehen, was der deutsche Mystiker und Philosoph Jakob Böhme mit seinem Satz meinte: „Wem Zeit wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, der ist befreit von allem Leid!“
 
Zeit hat er wahrlich genug, der Chris Heller. Und er hat auch schon einiges gemacht in und mit dieser seiner Zeit: Geboren und aufgewachsen in Ulrichskirchen im Weinviertel. Das prägt. Nicht nur wegen so illustrer Schulkollegen wie Manfred Buchinger.
 
Dass die Musik sein Lebensmittelpunkt wird, war schnell klar, und mit dem nötigen Talent und der Hingabe war es für ihn nicht so schwer einen Job bei einer Kirtags-Tanz-Band zu bekommen. In einer Unzahl von rauen Weinviertler Kirtagsnächten hat er seine Bühnenpräsenz und seine musikalisch-alkoholische Standhaftigkeit kultiviert und immer weiter verfeinert. Auf der Bühne ist er quasi eine Mischung aus Musikalität und Erscheinung. Die Bezeichnung „Bühnenpräsenz“ wurde vermutlich für ihn erfunden, denn: Wenn er da ist, dann ist er da!
 
Begonnen hat sein musikalisches Eigenleben mit der Musikgruppe ›Kaputschettos‹, weiterentwickelt wurde es dann mit der einst im Weinviertel legendären Band ›Mugl-Company‹. Gar manchem sind noch die Lieder ›Dann steigt die Sunn‹ und ›A Prost auf den heutigen Tag‹ in Erinnerung.
Der Musikstudent (Hochschule für Musik und darstellende Kunst … ja, so hat das damals noch geheißen) in den Fächern Schlagzeug und Klavier erfreute sich textlicher und kompositorischer Inspiration. Diese brachte er später bei seiner Arbeit als Kinder-Musical-Schreiber mit ein. Die Werke ›Geflügelter Drache‹, ›Adrian‹ und ›Olympia‹ wurden unter seiner Mitwirkung auf die Felsenbühne Staatz gebracht.
 
Aber kommen wir jetzt wieder zu unserem Auftritt zurück: Nach einer endlos scheinenden Fahrt sind Sie in der (wirklich sehr nahen) Konzerthalle angekommen. Chris Heller begrüßt alle Anwesenden mit der ihm eigenen Freundlichkeit. Es sind meist nicht viele da am Anfang. Der Veranstalter, der Tontechniker samt Team, Lichtwesen (ein Kosename für Beleuchter) und alle für den Ablauf Verantwortlichen. Nach der Pflichtbegrüßung kommt dann auch sofort die Kür: Chris begibt sich schnurstracks in die Küche und/oder in den Barbereich, um auch hier alle Anwesenden und vor allem „Anwesendinnen“ zu begrüßen.
 
In einer der unzähligen Autostunden, die ich schon mit ihm verbringen durfte, verriet er mir einst: „Du muaßt immer z´erscht in die Kuchl geh’n und dir´s duat mit ålle guat stell’n! Weu de san a daun no do, waun de andern scho ålle dahaam san und de haum daun immer no was zum Essen und zum Trinken!“ Ein weiser Merksatz!
 

Und wenn Sie das jetzt berechnend finden, dann irren Sie sich! Er mag viele Eigenheiten haben, der Chris Heller, aber negative oder gar böswillige Dinge und Aktionen gehören da wirklich keine dazu. Und Sie brauchen jetzt auch nicht zu glauben, dass ich nur so gut über ihn schreibe, weil mir noch viele gemeinsame, einsame Stunden auf der Autobahn (oder Gott behüte im Hotelzimmer) mit ihm bevorstehen. Wir haben einen Pakt geschlossen: Wir dürfen – und müssen – uns alles sagen! (Naja, bis auf die Frauengeschichten, weil die glauben wir uns sowieso nicht …)
 
Das ist wahrscheinlich auch der Grund für unsere schon so lange funktionierende Berufs-Ehe/Zweckgemeinschaft. Ich kann mich an kein Gespräch der letzten zehn bis 15 Jahre unserer musikalischen Zusammenarbeit erinnern, in dem er gejammert, gesudert oder über irgendjemanden schlecht geredet hätte. Er erklärte mir seine Sicht der Welt dereinst so: Irgendwann sei er, der feinfühlige Hochsensible, draufgekommen, dass die Entscheidung bei ihm liegt, ob er den Tag fröhlich oder grantig beginnt. Das liest sich jetzt genau so einfach und schwer, wie es ist, aber er hat das in den Jahren für sich immer besser entwickelt und perfektioniert. Und das ist jetzt so und so bleibt’s auch.
 
Zur Zeit der Mugl-Company holte sich auch der ORF den charismatischen Mann aus dem Weinviertel auf den Küniglberg und beauftragte ihn mit der Moderation der musikalischen Jugendsendung „Musikwerkstätte“ (ORF, 1991-1993). Da war er der Deckel zum Topf!
 
Danach findet man Chris Heller in unzähligen Bands und Formationen: Von der Unterhaltungsband ›Red Devils‹, über die Galaformation ›Pole Position‹ (mit dem unvergleichlichen Willy Wenzl) bis zur Kleinkunstgruppe ›Zwio Infernal‹  (mit Werner Auer) sind hier nur einige aufgezählt.
 
So, aber jetzt wieder zu unserem Auftritt: Bühnenmusikalisch gesehen ist Chris Heller eine „Bank“ (wenn sie mir diesen Wettausdruck gestatten)! Er „funktioniert“ immer, ist immer gut gelaunt, er kann den schlimmsten Situationen noch etwas Positives abgewinnen und diese positive Energie sofort wieder im Publikum verteilen.  Egal wie das Konzert läuft, egal wie das Publikum drauf ist, spätestens nach der dritten Nummer haben Sie mit ihm den Saal im Griff und verführen das Auditorium zu was immer Sie wollen. Fast niemand im Saal kann sich diesem Zauber entziehen, der durch seine Echtheit besticht. Chris Heller spielt Ihnen nichts vor, der ist wirklich so! Da schaut und hört man(n) und Frau gerne zu.
Nachdem er sich als regionaler Musiklehrer fast 20 Jahre quasi im Nebenerwerb versorgte, ließ er diese Tätigkeit vor mehr als zehn Jahren auslaufen und suchte sich Neues. Im Naturpark Leiser Berge fand er eine ihm entsprechende Aufgabe, die sich sowohl zeitlich, als auch energetisch (er war ja jetzt dauernd an der frischen Luft), mit seiner musikalischen Arbeit vereinbaren ließ. Denn auch musikalisch gab es einige Neuerungen, leicht zeitversetzt begannen neue Projekte wie „Lady Sunshine & Mister Moon“ – eine Schlager-Revue-Show von und mit Frau Tochter Liesi Heller – und die Arbeit an dem Musikversuch „Jimmy Schlager & Band“, bei der Chris Heller von Anfang an mit dabei war.
 
Nach dem Konzert geht seine Strategie voll auf! Die Instrumente sind verstaut, die Garderobe geleert und Sie werden von den freundlichen Küchenhelferinnen mit feinster Ware versorgt, die — wenn nicht vom Verkauf übrig geblieben — von den fürsorglichen Damen extra für uns in Verwahrung genommen wurde. Dazu trank der Feinschmecker Heller früher meist Rotwein mit Orangensaft (Cappy), „… der Sangria des kleinen Mannes“, wie er zu sagen pflegte. Aber nach längerem „gut zureden“ meinerseits ist er auf Rotwein pur (Lieblingssorte: Zweigelt) umgestiegen.
 
Auch die seit 25 Jahren bestehende Verirrung des Vegetarismus habe ich nachhaltig beeinflussen können und das ist aber auch schon alles an gutem Einfluss, den ich hier anführen kann. Gut ist er schon selber, der Heller, gut und einzigartig! Sein lautes Lachen trägt er wie ein Markenzeichen durch den Tag und ein lieber Kollege (der klavierspielende Schwerenöter Gerhard R.) bezeichnete es einmal als eine Art „Brunftschrei“, dem sich niemand entziehen kann. In diesem Lachen liegt die ganze Lebensfreude des Chris Heller. Sich aus heiterem Himmel die Freude zufallen zu lassen, ist eine der Eigenschaften, die ihn so liebenswert machen. Egal was kommt, egal was war — kein Tag ist es wert, sich die Freude am Leben vermiesen zu lassen.
 
So, es ist jetzt halb drei Uhr nachts und Sie sind wieder zurück an der Tankstelle. Hier gibt’s noch einen späten Kaffee und dann beobachten Sie die polnischen Touristen, die an dieser letzten Raststation wie Murmeltiere aus dem Winterschlaf gerissen aus den Bussen zur Blasenentleerung getrieben werden. Das entspannt ein wenig und macht Spaß, wenn sie beim Drehkreuz am Toiletteneingang scheitern und nach gelungener Tat im Halbschlaf erst den Ausgang und dann am Parkplatz den Bus suchen. Jetzt trennen sich die Wege wieder. Und mit dem Gefühl, eine kurze  Zeit des Lebens sinnvoll und richtig verbracht zu haben, fährt jeder heim. Mit ein wenig Wehmut denkt man an den schönen Abend und mit Freude erwartet man den nächsten.
 
Kurze Nachbemerkung: In einem Geschäft in Mistelbach (ich hab mir gerade ein Buch gekauft), bemerkte ich eine Dame, die mich länger aufmerksam beobachtete. Als wir bei der Kassa zufällig zusammentrafen, sprach sie mich mit den Worten an: “Ich kenne Sie! Sind sie nicht der … na, … wia haaßt denn der … der Chris Heller?“ Schmunzelnd erwiderte ich: „Manchmal, nur manchmal, … manchmal gelingt es mir!“
Erzählt von Jimmy Schlager
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